Alwin und Stefanie Jurtschitsch produzieren die wohl spannendsten Weißweine des niederösterreichischen Kamptals: Grüne Veltliner und Rieslinge in feiner, zeitlos eleganter, kühler Stilistik.
Alwin und Stefanie Jurtschitsch im Weinberg „Heiligenstein“
„Die Rebe liebt die Sonne. Aber noch mehr liebt sie den Schatten des Weinbauern.“ – Mit dieser aus Frankreich stammenden Winzerweisheit beschreibt Alwin Jurtschitsch den wichtigen Beitrag des Menschen zum Terroir eines Weines: die ständige Präsenz im Rebgarten. „Man muss mit offenen Augen durch den Weinberg gehen, hören, was er sagt und fühlen, was er will.“
Offenbar ist das Sensorium Alwins und seiner Frau Stefanie überaus gut ausgebildet, denn die beiden erzeugen die wohl spannendsten Weißweine des Kamptals: Grüne Veltliner und Rieslinge, die mit einer feinen, zeitlos eleganten, kühlen Stilistik begeistern. Das Winzerehepaar hat in den vergangenen zehn Jahren das Weingut Jurtschitsch zu einem der interessantesten und innovativsten der Region entwickelt.
Seit Alwin und Stefanie 2009 gemeinsam die Führung des bekannten Langenloiser Betriebes übernommen hatten, änderte sich nach und nach so einiges. „Das gesammelte Wissen und die unschätzbare Erfahrung des Familienweingutes waren eine gute Basis für uns. Aber Stefanie und ich wollten nicht einfach den Betrieb übernehmen, alles genau so machen wie unsere Vorgänger und damit in Tradition erstarren. Jede Generation muss das Terroir für sich selbst neu entdecken, eine eigene Beziehung dazu aufbauen und neu interpretieren“, sagt Alwin.
Logische Konsequenz: biologisch-organisch
Das Winzerehepaar ging frischen Herzens und offenen Geistes an die Herausforderung heran, stellte vieles in Frage. „Wir nahmen uns ausreichend Zeit, um uns klar zu werden, wohin wir wollen, wie unsere Weine schmecken sollten. Ab da waren alle unsere Entscheidungen streng an diesem Ziel ausgerichtet“, so Stefanie.
Die Basis von allem sollten lebendige Weinberge sein, und so war die Umstellung auf biologisch-organische Landwirtschaft eine logische Konsequenz.
Auch sonst wurde manch Althergebrachtes über Bord geworfen, das eine oder andere bisher sakrosankte Label des Weinguts verschwand, die Anbauflächen wurden reduziert. „Wir haben uns verkleinert, um in die Tiefe und in der Qualität wachsen zu können“, sagt Alwin.
Die Weinproduktion als solche liegt vor allem in den Händen von Stefanie: „Wir hatten die Gelegenheit, selbst zu gestalten, zu experimentieren. Wir wollten unsere Weinberge in- und auswendig kennenlernen, wollten wissen, was in ihnen steckt. In den Anfangsjahren haben wir uns viel Grundlagenwissen erarbeitet.“
Die beiden Winzer gehörten zu den ersten im Kamptal, die die Eigenheiten und das Geschmacksprofil erstklassiger Weinbergslagen wie Dechant, Lamm, Heiligenstein, Käferberg oder Loiserberg klar herausgearbeitet haben. Und erst aus dem Kennenlernen der einzelnen Lagen ergab sich der Stil der Weine: leise, zurückhaltende, aber klare, prägnante Stimmen des Terroirs – als Gegenpol zu den lauten Tönen vieler Weine, deren „Identität“ erst im Keller geschaffen wird.
Nebel über dem „Heiligenstein“, eine der besten Weinlagen im Kamptal (NÖ).
Das Paar ging dazu über, die Erntezeitpunkte früher als in der Region üblich anzusetzen, was bis heute von vielen Winzerkollegen nicht verstanden wird. Aber, so Alwin: „Wir wollen Spannung in den Trauben, knackige Beeren mit reifen, feinen Aromen und gleichzeitig ausreichende Säure für die Frische und ‚drinkability’ unserer Weine.“
Mit der Ernte 2011 wurde die neue Stilistik erstmals klar schmeckbar: fein, zeitlos elegant, kühl. Typisch für das Kamptal, einzigartig und daher anderswo nicht kopierbar. Leise, unaufgeregt, mit Understatement. Die Weine drängen sich nicht auf, wollen vielmehr entdeckt werden, sind zugänglich und hintergründig zugleich. Alwin: „Am schönsten ist es, wenn wir gefragt werden: Wie macht Ihr das eigentlich?“
Die Weine bleiben ohne jegliche Aromatisierung durch neues Holz, Botrytis oder Zuchthefen, die einen Grünen Veltliner nach Sauvignon schmecken lassen können. Auch der Alkoholgehalt ist bei Jurtschitsch kein Kriterium für Qualität: So etwa fällt der engmaschige, komplexe, tief strukturierte und langlebige Grüne Veltliner aus der Ried Lamm in Bezug auf den Alkohol mit nur 13 % eher wie ein „Lämmlein“ aus.
Lehrreiche Wanderjahre
All diese Veränderungen und Neuerungen auf dem Weingut fielen aber nicht plötzlich vom Himmel. Alwins Denken über Wein wurde vor der Übernahme des Weinguts von vielen Eindrücken während seiner Lehr- und Wanderjahre international und multikulturell geprägt. So etwa kam ihm auf dem Weg zu einem Praktika in Chile eine Farm im Hochland von Ecuador dazwischen, auf der er einige Monate Gelegenheit hatte, die Permakultur zu studieren und zu praktizieren (er kam nie bis Chile ...).
In Australien musste er sich sanften Spott anhören: Die Aussies hätten angenommen, österreichische Weißweine seien cool climate wines mit schlanker, kühler Stilistik. Statt dessen bekäme man meist barocke, teils barriquegereifte Veltliner und Rieslinge mit 14 % Alkohol und reichlich Botrytis vorgesetzt.
Auf einer Reise nach Japan, einer Hochburg für Naturweine, lernte Alwin die kulinarische Interpretation von „weniger ist mehr“ kennen und schätzen.
Auf französischen und deutschen Weingütern erlebte er, wie fein, elegant und aussdrucksstark Weißweine auch ohne viel Alkohol, Botrytis oder neuem Holz sein können. Und wie stark biologische Bewirtschaftung die Herkunftslage eines Weines zur Geltung bringt.
Die biologisch produzierten Grünen Veltliner und Rieslinge von Stefanie und Alwin Jurtschitsch zählen zu den reizvollsten im Kamptal: fein, kühl, zeitlos elegant
Eine weitreichende Entscheidung
Weitgehend frei von Verantwortung genoss Alwin seine Wein-Vagabondage einige Jahre, bis ihn schließlich der Ruf der Familie ereilte. Er wurde vor die Wahl gestellt, sein Wanderleben zu beenden, auf das Weingut zurückzukehren und mitzuarbeiten, oder „etwas Gescheites“ – sprich Weinbau – zu studieren. Er entschied sich für Geisenheim. Der Grund war Stefanie.
Die Beziehung Alwins zur Winzertochter Stefanie Hasselbach vom Weingut Gunderloch in Rheinhessen hatte sich seit 2003 entsponnen, als Stefanie ein Praktikum auf dem Weingut Jurtschitsch absolvierte. Jahre später trafen sich die beiden in Geisenheim beim Studium wieder und verbrachten beinahe mehr Zeit in verschiedenen Weingärten und Kellern als in den Vorlesungen. Der „Geist von Geisenheim“, die Diskussionen mit anderen jungen Winzern und die Gedankenexperimente von Gleichgesinnten, inspirierten Alwin und Stefanie auch für ihre spätere gemeinsame Arbeit auf dem eigenen Weingut in Langenlois.
Als Alwin dann 2008 das Familienweingut Jurtschitsch übernahm, hatte Stefanie ihr Önologie-Studium absolviert, ihren Kindheitstraum – Winzerin – verwirklicht, und war zuhause auf Gunderloch gemeinsam mit ihrem Vater für die Weinproduktion verantwortlich. Nun musste sie sich entscheiden: Wo will ich mein künftiges Leben verbringen? Bleibe ich als Winzerin bei meiner Familie in Rheinhessen oder gehe ich zu Alwin nach Langenlois? Die Antwort reifte während einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg, auf dessen letztem Stück ihr Alwin entgegenkam – mit ungeeignetem Schuhwerk und Blasen an den Füßen. Der Rest ist neuere Weingutsgeschichte.
Der „Heiligenstein“ vom Kamp aus gesehen: Terrassenweingärten mit Trockensteinmauern, Südwestlage, lange Sonneneinstrahlung, Böden mit Wüstensandstein.
Kühles Kamptal, Lehm, Löss und Urgestein
9 Uhr morgens im von der Sonne beschienenen Heiligenstein, der Herkunftslage außergewöhnlicher Rieslinge. Einige Rehe springen über die von Trockensteinmauern gestützten Weinbergsterrassen und scheuchen dabei eine Schar Krähen auf.
An einem „Kraftplatz“ wie diesem ist Alwin in seinem ureigensten Element. Als Weltenbummler verwendet er gerne prägnante Anglizismen, spricht hier vom „sense of place“, vom Geist des Ortes, zu welchem auch der Mensch wesentlich beitrage. Da ist er wieder: der Schatten des Weinbauern.
Im Kamptal trifft nicht nur die Kühle des nördlich gelegenen Waldviertels auf die Wärme des pannonischen Klimas und des Donauraumes. Im Kamptal herrscht auch unterirdisch große Vielfalt. So sind Lagen wie der erwähnte Heiligenstein von 250 Millionen Jahren altem Wüstensandstein geprägt, der tendenziell schlankere, kantigere, mineralische Rieslinge hervorbringt. Ganz anders die tiefgründigeren Lehm- und Lössböden, wie sie in der Ried Lamm, einer weiteren Top-Lage der Familie Jurtschitsch, vorherrschen: Sie begünstigen eher stoffige, saftige Weine.
Der Käferberg hingegen ist bekannt für seinen kargen, kühlen, kristallinen Urgesteinsboden mit Gneis und Glimmerschiefer, der Grüne Veltliner mit der Erhabenheit einer gotischen Kathedrale wachsen lässt.
Zwei verschiedene Terroirs dicht nebeneinander: links die Ried Heiligenstein mit rötlichem Wüstensandstein, rechts vom Weg die Ried Lamm mit gelbem Löss.
Die intelligenteste Form, Winzer zu sein
Alwin und Stefanie betreiben biologisch-organische Landwirtschaft (Lacon-zertifiziert). Für die beiden ist die biologische Bewirtschaftung „die intelligenste Form, Winzer zu sein“, so Alwin. Als freie, unabhängige Winzer holen sie sich Inspirationen aus der Wissenschaft und verschiedenen Bio-Denkschulen, suchen nach natürlichen, intelligenten Lösungen, um die Balance im Boden zu bewahren und die Vielfalt der Mikroorganismen zu fördern. Sie arbeiten etwa auch mit Kräutertees, Gesteinsmehl oder Molkepulver, um Krankheiten vorzubeugen und die Reben gesund zu erhalten.
In die Rebgärten eingebrachter natürlicher Kompost aus Stroh, Hackschnitzeln, Kuhdung, Trester und Erde sowie eine Begrünung zwischen den Rebzeilen sorgen für nachhaltigen
Humusaufbau. In jenen Monaten, in denen sie keine Trauben naschen können, dürfen Schafe in den Weinbergen grasen. Das erspart einmal Mulchen und bringt zusätzliches Leben in die Rebgärten.
Um das langsame, gleichmäßige Wachstum der Weinstöcke und damit letztendlich die Traubenqualität zu fördern, setzt man auf sanften Rebschnitt. Sanft heißt: wundarm, behutsam, mit Achtsamkeit für die Pflanze. Nur junges, ein- bis zweijähriges Holz wird beschnitten – ohne pneumatische Schere. „Dafür hatten meine Leute anfangs nur ungläubiges Kopfschütteln übrig“, so Alwin. Aber der sanfte Rebschnitt und damit die Harmonisierung der Reben habe neben der Umstellung auf Bio wesentlich zur Qualitätssteigerung beigetragen.
Im Keller von Jurtschitsch: Die Weine werden im großen Holzfass spontan vergoren und liegen bis zu zehn Monaten auf der Hefe.
Don‘t panic, it‘s organic!
Nach allem, was wir bisher über das Winzerpaar Jurtschitsch wissen, ist klar: Im Keller ist keine technologische Önologie zu erwarten. Tatsächlich: Hier, unter behutsam renovierten, jahrhundertealten Gewölben, die einst zum Keller eines Franziskanerklosters gehörten, werden die Weine mit Naturhefen spontan vergoren – die Ersten Lagen in großen Holzfässern (600 bis 2.100 Liter), die Orts- und Regionsweine im Stahltank und Holzfass.
Die Lagen-Veltliner und -Rieslinge bleiben mindestens zehn Monate auf der Vollhefe im Fass. Das macht die Weine harmonischer, ausdrucksstärker und länger lagerfähig.
Man wolle sich im Keller eher vom Geschmack leiten lassen als von Analysedaten. So etwa sei, meint Alwin, die vielzitierte Mineralik „die letzte große Alchemie beim Wein“, nicht messbar, sondern eher ein Gedankenkonstrukt für eine Geschmacksempfindung.
Neben ihren – neu interpretierten – Kamptaler Klassikern produzieren Alwin und Stefanie seit einigen Jahren besondere Projekt-Weine. Motto: „Entdeckungen aus dem Weingut“. Alwin:
„Jeder dieser Weine, von denen oft nur ein kleines Fass ausgebaut wird, beginnt im Kopf. Eine Idee, ein Gedanke auf der Suche nach der Vielfalt des Geschmacks im Wein.“ Bestes Beispiel: „Belle Naturelle“, ein im Holzgärständer sanft maischevergorener, ungefilterter Grüner Veltliner. Die wohl schönste Art, in die Welt der Naturweine einzutreten.
Bei der biologischen Önologie geht es weniger ums aktive Tun, mehr darum, viel zuzulassen, Vertrauen in die Natur, aber auch reichlich Erfahrung zu haben. Und falls die Gärung einmal stockt, müsse man sich den Slogan „Don’t panic, it’s organic!“ in Erinnerung rufen, meint Kellermeisterin Stefanie. Voraussetzung für diese Gelassenheit sei aber einwandfreies, gesundes Traubenmaterial, womit wir wieder am Ursprung wären: im Weinberg.
Eiförmige Tanks aus Keramik zeigen die Experimentierfreudigkeit auf dem Weingut Jurtschitsch: Hier werden Weißweine auf der Maische vergoren.
Glückliche Winzer, gute Weine
Alwin Jurtschitsch ist eine facettenreiche Persönlichkeit: ein – den Reben Schatten bietender – Bio-Weinbauer und Hedonist, Träumer, Realist und Visionär, aber kein Doktrinär. Er ist Charismatiker, Praktiker und „Trockensteinmaurer mit Zertifikat“, will alte Rebanlagen bewahren, sein „Lebtag lang keinen Weingarten ausreißen“. Er bemüht sich um die Restaurierung verfallener Trockenmauern, bewirtschaftet einige Hektar im Heiligenstein „dry farmed“, also ohne jegliche Bewässerung, und traktorfrei: Gepflügt wird hier mit dem Pferd. Er lässt Eichen in den Wäldern der Region schlagen, das Holz spalten und fünf Jahre lang auf dem Weingut trocknen, bevor ihm daraus der berühmte Fassbinder Franz Stockinger aus Waidhofen an der Ybbs Fässer baut.
Mit unendlich vielen Projekten im Kopf, ist Jurtschitsch ein Rastloser, ewig Fragender, an kleinsten Stellrädchen drehend, ständig experimentierend – etwa mit eiförmigen Keramikbehältern und Tonamphoren. Ein „Wine Maniac“, ein im positiven Sinne
Weinverrückter, der, wenn er gar zu weit „out of the box“ schwebt, von seiner Frau Stefanie sanft wieder eingefangen wird.
Alwin ist überzeugt: „Wirklich gute Weine können nur von glücklichen Winzern kommen.“ So he must be a very happy man.